die Jahre 1952 bis 1972
Wirtschaftswunderjahre enden mit Streik in der chemischen Industrie
Das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 löste die bisherigen länderrechtlichen Regelungen ab und führte zu einer bundesweit einheitlich kodifizierten Mitbestimmung.
Schon wenige Jahre nach Kriegsende setzte in Deutschland ein wirtschaftlicher Aufschwung ein. Er brachte der chemischen Industrie wachsende Umsätze und Gewinne und bescherte den Belegschaften stabile Einkommenszuwächse. Die Zahl der Arbeitslosen sank kontinuierlich, 1962 meldete die deutsche Industrie Vollbeschäftigung. Diese wirtschaftlichen Entwicklungen veränderten die Schwerpunkte der Betriebsratsarbeit; statt der Versorgungsaufgaben der unmittelbaren Nachkriegszeit standen für die Betriebsräte des beginnenden Wirtschaftswunders unter anderem bessere Löhne und Gehälter sowie mehr Mitspracherechte der Arbeitnehmer auf der Agenda.
Mit dem am 11. Oktober 1952 verabschiedeten Betriebsverfassungsgesetz (BVG) wurde im Westteil Deutschlands die Mitbestimmung, die bis dahin auf Länderebene unterschiedlich geregelt war, bundesweit vereinheitlicht. Zu den Neuerungen dieses Gesetzes zählte vor allem die Möglichkeit, Gesamtbetriebsräte und Jugendvertretungen einzurichten. Auch die Festschreibung von Wirtschaftsausschüssen, in denen die Unternehmensleitung die Arbeitnehmervertreter über wirtschaftliche Belange informieren muss, war Teil des neuen Gesetzes. Gegenüber dem Gesetz der Weimarer Republik wurde das neue BVG von Teilen der Betriebsräte allerdings auch als Verschlechterung betrachtet. In der Summe reichte das Betriebsverfassungsgesetz dennoch deutlich über das 1920 erlassene Betriebsrätegesetz hinaus.
Anfang der 1950er Jahre trat der Manteltarifvertrag in Kraft, der die Aufgabenteilung in Lohn- und Gehaltsfragen regelte: Die zuständige Gewerkschaft vereinbarte Urlaub oder Zulagen, die Tarifbezirke handelten einen Tariflohn aus, während Betriebsrat und Geschäftsleitung vor Ort die individuellen Löhne verhandelten. So entstanden allmählich Differenzen zwischen tarifvertraglichen und tatsächlich gezahlten Löhnen, die teilweise bis zu 40 Prozent betrugen. Ein Fakt mit Konfliktpotential. Ein Arbeitskampf schien unausweichlich, unter anderem auch durch die sich allmählich verstärkende Konjunktureintrübung. Mit ersten Warnstreiks und Demonstrationen startete am 15. Juni 1971 ein Streik, der alle Vorgängergesellschaften von Evonik erfasste, wenn auch unterschiedlich intensiv. Er endete auf Vermittlung des Kanzleramtes nach rund vier Wochen mit einem Abschluss in Höhe von acht Prozent Lohnerhöhung – der bisher letzte große Streik in der chemischen Industrie.