Konzerngeschichte

Vorgeschichte

Vom Kaiserreich bis zum ersten Weltkrieg

Die Geschichte der Mitbestimmung beginnt bei den Vorgängergesellschaften von Evonik weit vor der Gesetzgebung in der Weimarer Republik. Ihre Anfänge lagen bereits im 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreich.

Motor war die industrielle Revolution, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Millionenheer von Arbeitern hervorbrachte. Geringe Löhne und ein erschreckend niedriges Bildungsniveau dieser Arbeiter sowie hierarchisches, gewinnorientiertes Denken der Unternehmer und deren repressive Haltung gegenüber der Belegschaft kennzeichneten die Situation. Kein Wunder also, dass sich innerhalb der Arbeiterschaft verstärkt sozialistische Tendenzen regten – denen Regierung wie Unternehmer soziale Zugeständnisse entgegensetzen mussten.

Auch die Evonik-Vorgängerunternehmen Degussa, Frankfurt (gegründet 1873), Th. Goldschmidt, Essen (gegründet 1847) sowie Röhm & Haas, Darmstadt, (gegründet 1907) reagierten auf diese Herausforderungen – mit unterschiedlichem Tempo. Die Degussa trat schon vor den staatlichen Zugeständnissen mit arbeitnehmerfreundlichen Regelungen hervor. Sei es 1875 mit einer Versicherung gegen Krankheit und dauerhafte Arbeitsunfähigkeit oder 1886 mit einem „Pensionsreservefonds“, der Arbeiter, Angestellte und Hinterbliebene absicherte.

Anfang der 1880er Jahre schrieb die Fabrikordnung der Degussa eine gegenseitige 14tägige Kündigungsfrist fest. Ein ungewöhnlicher Schritt, da überall sonst von einem Tag auf den anderen entlassen bzw. gekündigt werden konnte. Besonders revolutionär war der Achtstundenarbeitstag (bei einer Sechstagewoche), den die Degussa 1884 – bereits 34 Jahre vor einem entsprechenden Gesetz - einführte. Die 1892 in Kraft tretende erste Arbeitsordnung von Th. Goldschmidt hinkte den Frankfurtern hinterher. Denn dort standen die Arbeiter weiterhin von Montag bis Samstag zehn Stunden täglich an den Maschinen. Da die Th. Goldschmidt jedoch mit großen Unternehmen wie Krupp um verlässliche Arbeitskräfte konkurrieren musste, gab es auch in Essen Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr soziale Zugeständnisse für die Belegschaft. Einen Höhepunkt bildete 1909 die Eröffnung eines eigenen Ferienheimes im Grünen. Auch bei der Firma Röhm & Haas sah die Geschäftsführung schnell die Notwendigkeit, die Mitarbeiter durch soziale Zugeständnisse wie Bäder, Aufenthaltsräume oder verbilligtes Mittagessen an sich zu binden.

Der Erste Weltkrieg, der am 1. August 1914 ausbrach, stellte die Evonik-Vorgängergesellschaften vor große Probleme, sei es durch Einbrüche im Welthandel und bei der Rohstoffversorgung, aber auch durch die Einberufung zahlreicher Mitarbeiter an die Front.

Um den Betriebsfrieden zu festigen, wurden Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern durch das „Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst“ im Dezember 1916 verpflichtet, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse zu etablieren. Für Th. Goldschmidt wie auch für Röhm & Haas etwas ganz Neues – bei der Degussa bereits seit 1898 gelebte Praxis. Die zugestandene Mitbestimmung konnte jedoch nicht verhindern, dass die Streiks vielerorts weitergingen.