Konzerngeschichte

Vorgeschichte: Bilderstrecke

Die Geschichte der Mitbestimmung beginnt bei den Vorgängergesellschaften von Evonik weit vor der Gesetzgebung in der Weimarer Republik. Ihre Anfänge lagen bereits im 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreich. In unserer Bilderstrecke finden Sie Impressionen und Informationen aus dieser Zeit.

Entlassungsschein für Peter Knorr, Juni 1893
Entlassungsschein für Peter Knorr, Juni 1893

„Entlassungs=Schein. Der Maschinist & Heizer Peter Knorr aus Viersen seit 15 December 1890 auf meiner Fabrik beschäftigt, ist heute ordnungsmäßig auf seinen Wunsch von mir entlassen worden. Derselbe war Mitglied der hießigen Allgemeinen Ortskrankenkasse. Mit seinen Leistungen war ich zufrieden. Chemische Fabrik, Essen a. d. R., den 20. Juni 1893“ Stempel und Unterschrift.

Als echter Patriarch nahm Dr. Karl Goldschmidt alle Arbeitsverhältnisse persönlich – es war seine Fabrik, er allein hatte das Sagen, die Belegschaft musste folgen und erhielt von ihm soziale Vergünstigungen. Wer sich jedoch den Sozialdemokraten oder dem Fabrikarbeiterverband – beide für Goldschmidt ein rotes Tuch – anschloss, dem drohte die Entlassung.

Peter Knorr ging auf eigenen Wunsch und weil Karl Goldschmidt mit seiner Leistung zufrieden gewesen war, stellte er ihn vier Jahre später wieder ein. Der Entlassungsschein hat sich nur erhalten, weil Knorr als Meister eingestellt wurde. Und für die legte man, im Gegensatz zu den einfachen Arbeitern, eine Personalakte an.

Arbeiter im Dosenlager der Weißblechentzinnung, Essen, 1910
Arbeiter im Dosenlager der Weißblechentzinnung, Essen, 1910

Man könnte sie für Kinder halten, doch es sind junge Arbeiter, die hier vor der Dosenhalde bei Th. Goldschmidt stehen. Im Kaiserreich war für Viele die Schulzeit mit 13 Jahren zu Ende. Mit wenig Bildung versehen gingen die jungen Männer in die Fabriken, wo weder ein Arbeitsvertrag noch Kündigungsfristen üblich waren. Stattdessen gab es 72-Stundenwochen an sechs Arbeitstagen und einen geringen Lohn, der wöchentlich ausbezahlt wurde. Nur die Ambitionierten schafften es aus diesem trostlosen Umfeld heraus. Oft mit Hilfe von Arbeiterbildungsvereinen, die ihnen eine Perspektive vermittelten.

Angestellte der Degussa, Frankfurt, um 1914
Angestellte der Degussa, Frankfurt, um 1914

Betont locker, zum Teil mit Zigaretten in der Hand, posieren diese jungen, so genannten Beamten. Wenn sie auch in Anzug, Schlips und steifem Kragen zur Arbeit gingen, so verdienten die meisten von ihnen nicht mehr als ein langjähriger Meister. Dennoch gab es eine strikte gesellschaftliche Trennline zu den „Gewerblichen“. Und die drückte sich nicht nur in der Kleidung, sondern auch in Arbeitsverträgen mit individuellen Vereinbarungen und besseren sozialen Regelungen aus. Mit einer Ausnahme: Während die Arbeiter ab 1889 einen gesetzlichen Rentenanspruch hatten, erhielten die Angestellten Vergleichbares erst durch ein Gesetz vom 20. Dezember 1911.

Porträt von Karl Robert Vieweg, um die Jahrhundertwende
Porträt von Karl Robert Vieweg, um die Jahrhundertwende

Als einfacher Arbeiter trat der 19-jährige Karl Robert Vieweg 1886 in die Degussa ein. Er muss politisch engagiert und/oder gewerkschaftlich organisiert gewesen sein. Warum sonst hätte er 1898 per Flugblatt einen Arbeiter-Ausschuss vorgeschlagen? Dieser Ausschuss wurde bald darauf im Speisesaal des Degussa-Werkes an der Frankfurter Schneidwallgasse gegründet und war einer der ersten in Deutschland. Vieweg wurde zum Vorsitzenden gewählt. Nach anfänglichem Zögern unterzeichnete Direktor Dr. Heinrich Roessler ein Plakat, das den Ausschuss betriebsintern bekannt machte und genehmigte ihn somit. Karl Robert Vieweg wurde 1931 pensioniert. Sein Sohn arbeitete lange Jahre als Chemiker bei der Degussa.

Auszug aus dem Strafregister der Th. Goldschmidt, 1913
Auszug aus dem Strafregister der Th. Goldschmidt, 1913

Das elende soziale Umfeld der Arbeiter beförderte vielerorts ungute Verhaltensmuster: Alkoholismus, Gewalt und Verwahrlosung prägten ihr Bild in der Öffentlichkeit. Die Unternehmer fürchteten um den reibungslosen Ablauf ihrer Produktionsprozesse und setzten daher auf strenge Disziplin. Strafregister oder Strafbücher waren in vielen Unternehmen gang und gäbe. Sie verzeichneten u.a. Ungehorsam, Zuspätkommen, zu frühes Gehen, Schlafen am Arbeitsplatz, Verschütten von Chemikalien oder Prügeleien. Auch der weit verbreitete übermäßige Konsum von Alkohol am Arbeitsplatz wurde geahndet. Die Betroffenen wurden mit Geldstrafen zwischen 50 Pfennig und einer Mark belegt – bei einem Wochenlohn von ca. 20 Mark tat das weh. Im Wiederholungsfall drohte Entlassung.